#28 Streikrecht & politischer Streik: Mehr Streik gleich mehr Demokratie?

Wir fragen Theresa Tschenker (Rechtswissenschaftlerin) und Christoph Wälz (Lehrer und Aktiver bei der GEW Berlin): Wer darf in Deutschland warum wann streiken? Und: Brauchen wir ein umfassenderes Streikrecht? Dabei werfen wir auch einen Blick in die Vergangenheit. Wie entstand das Streikrecht und welche Erfahrungen wurden mit politischen und verbandsfreien Streiks gesammelt? Außerdem: Wie hängen Vorstellungen von Demokratie eigentlich mit dem Streikrecht zusammen?

Im ersten Teil befassen wir uns damit, was es eigentlich mit der Trennung zwischen dem (erlaubten) tarifbezogenen Streik und dem (vermeintlich verbotenen) politischen Streik auf sich hat. Woher kommt die rechtliche Auffassung, dass politische Streiks in Deutschland verboten sind? Außerdem berichtet uns Christoph wie er als Lehrer zum Thema Streikrecht gekommen ist und warum eine Erweiterung geboten sein könnte.

Im zweiten Teil schauen wir darauf, wie die Bewertung des Streikrecht mit unterschiedlichen Vorstellungen der Demokratie zusammenhängen.

Im dritten Teil stellen wir die Frage der Fragen: Wie kommen wir voran? Welche Schritte können für eine Ausweitung des Streikrechts gegangen werden? Und werden Gewerkschaften dann eigentlich überflüssig?

Weitere Infos zum Thema

Mehr zu aktuellen Fällen im Zusammenhang zwischen verschiedenen Formen von Streiks, die nach derzeitig vorherrschender Rechtsauffassung außerhalb der Norm gelten, findet ihr auch bei der Kampagne „Recht auf Streik“. Die Kampagne für ein umfassendes Streikrecht setzt sich für ein Streikrecht im Sinne der Europäischen Sozialcharta ein. Beteiligt sind Aktive aus den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, u.a. Kolleg*innen aus der AG für ein umfassendes Streikrecht der GEW Berlin sowie Aktive aus dem Solidaritätskreis für die Beschäftigten bei Gorillas.

Mehr von unseren Gästen

Zum Thema „wilde“ Streiks und umfassendes Streikrecht hat unser Gast Christoph Wälz einen lesenswerten Artikel bei der Monatszeitung Analyse und Kritik geschrieben. Exklusiver Tipp für alle Leser:innen der Shownotes von Felix: Die AK ist eine sehr gute Zeitung. In einem Interview in der Zeitung Express erläutert Christoph mögliche Verbindungslinien zwischen dem Arbeitskampf bei Gorillas, den Arbeitsbedingungen im Bildungsbereich und den Erfahrungen während der Corona-Pandemie. Ein weiterer exklusiver Lesetipp von Felix an alle, die unsere Show Notes lesen: Der Express ist ebenfalls sehr gut.

Ihre wichtigsten Argumente für das Recht auf politischen Streik von Theresa Tschenker findet ihr als Interview zum Nachlesen auf Legal Tribune Online. In einem weiteren Gespräch erklärt Theresa, wie besonders Frauen von eingeschränktem Streikrecht betroffen sind (Stichwort: kirchliche Sonderrechte). Weiterhin geht es auch darum, welche Forderungen nach Einschränkungen des Streikrechts im Dienstleistungsbereich Frauen in Zukunft betreffen könnten.

Europäisches Urteil zum deutschen Streikverbot für Beamte vom 14. Dezember 2023

Am 14. Dezember 2023 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Entscheidung zum Beamtenstreikverbot in Deutschland gefällt. Für alle Befürworter:innen eines erweiterten Streikrechts, war dieses Urteil des Gerichtshofs eine Niederlage, denn der EGMR beschied: Das Streikverbot für Beamte ist rechtens. Eine erste Einschätzung zum Urteil liefert der Verfassungsblog im englischsprachigen Artikel „A European Dialogue on Strike Action: The Strike Ban for German Civil Servants between Karlsruhe and Strasbourg„.

Solidaritätsstreiks zur Unterstützung schwedischer Tesla-Beschäftigter

Eine Form von Streik „außerhalb der Norm“, die wir nicht diskutiert haben, macht aktuell dem Unternehmer Elon Musk zu schaffen: Seit November gibt es in Schweden Streiks bei Tesla. Mittlerweile unterstützen auch andere Beschäftigte die Streikenden bei Tesla in Schweden mit grenzüberschreitend Solidaritätsstreiks. Der Hintergrund: Die schwedische Metallgewerkschaft IF Metal wollte mit Tesla einen Tarifvertrag abschließen – in Schweden fallen 88% aller Arbeitnehmer*innen unter einen Tarifvertrag (in Deutschland ca. 50 %). Der als gewerkschaftsfeindlich bekannte Elektroautohersteller Tesla mit Musk an der Spitze weigert sich einen Tarifvertrag auszuhandeln. Als Reaktion darauf legten Tesla-Beschäftigte und im nächsten Schritt auch Mitglieder anderer Gewerkschaften in Schweden und anderen Ländern die Arbeit nieder.

Weitere Lesetipps

Eine gute Quelle für einen Überblick zu den Streikaktivitäten der letzten Jahre finden sich in der WSI-Arbeitskampfbilanz. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung erstellt jährlich einen Bericht zu den Streiks in Deutschland. Die Arbeitskampfbilanz für 2022 könnt ihr hier einsehen. Heiner Dribbusch, ehemals Tarif- und Arbeitskampfexperte beim WSI, hat die seit 2008 von ihm und anderen erstellten Arbeitskampfbilanzen nochmals in einer großen Studie ausgewertet. „STREIK: Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen“ ist 2023 im VSA Verlag erschienen. Eine schon etwas ältere Veröffentlichung zum Thema politischer Streik ist von Lucy Redler. Sie legte mit „Politischer Streik in Deutschland nach 1945“ eine Chronik zu dieser Form des Streiks vor, die beim Verlag Manifest Bücher zwar vergriffen ist, aber sich vielleicht noch antiquarisch auftreiben oder in Bibliotheken ausleihen lässt. Der Forscher Peter Nowack hat 2015 einen Sammelband herausgegeben, der neue Formen des Streiks in Deutschland beleuchtet, darunter auch die Aktionen einer Gefangenengewerkschaft.

Über unsere Gäste

Theresa Tschenker ist Rechtswissenschaftlerin und hat zum Thema Politischer Streik promoviert. Ihre Dissertation erschien dieses Jahr im Verlag Duncker & Humblot unter dem Titel „Politischer Streik. Rechtsgeschichte und Dogmatik des Tarifbezugs und des Verbots des politischen Streiks„. Neben der Promotion arbeitete sie u.a. im Forschungsprojekt »Modelle der Live-in-Pflege« der Hans-Böckler-Stiftung. Aktuell absolviert sie ihr Referendariat am Kammergericht Berlin.

Christoph Wälz ist ist Lehrer und im Personalrat der allgemeinbildenden Schulen der Region Berlin-Pankow. Christoph ist aktiv bei der GEW Berlin und befasst sich dort in einer Arbeitsgruppe mit Forderungen um ein umfassendes Streikrecht. Die AG versteht sich als Plattform für Strategiediskussionen zur Ausweitung des Streikrechts gemäß Artikel 6 der Europäischen Sozialcharta.


Foto: Markus Spiske (unsplash.com)